
BRYAN FERRY – früher Sänger bei Roxy Music – überrascht auf seinem neuen Album damit, dass er nahezu stumm bleibt.
Weltwoche, 15. Mai 2025 · Lesedauer 3 Min.
Wenn sich Männer einbilden, dass sie besser altern als Frauen, dann liegt das an Bryan Ferry. Der britische Sänger, der im September 80 wird, sieht noch so gut und fit aus, dass niemand überrascht wäre, wenn er dieses Jahr erneut Vater würde.
Ferry – Sohn eines Bauern, der sich um die Ponys kümmerte, die in einer Kohlemine die Förderwagen zogen – studierte Malerei. Dann war er Kunstlehrer an einer Mädchenschule, bis er 1970 eine Band gründete, die so gut aussah, wie sie klang. Vielleicht sogar noch besser.
„Roxy Music“ – das selbst betitelte Debüt – verband Glam Rock mit Jazz und elektronischen Klangexperimenten. Dabei trugen die Musiker extravagante Kreationen des britischen Designers Antony Price und bewiesen ihr Stilbewusstsein auch dadurch, dass sie auf den Plattenhüllen den Namen des Frisörs aufführten. Ferry: „Andere Bands wollen Hotelsuiten zertrümmern, wir sie verschönern.“
Auf den Nachfolge-Alben entwickelten Roxy Music ihren Art-Pop weiter, bis sie 1975 mit der Single „Love Is The Drug“ den Funk entdeckten und weltweit die Charts eroberten. Tatsächlich war die Bass-Linie des Songs so unwiderstehlich, dass sie Nile Rodgers von Chic vier Jahre später zum Disco-Hit „Good Times“ inspirierte.
In der Zwischenzeit hatte Ferry mehrere Soloalben vorgelegt und mit der Eroberung des Supermodels Jerry Hall seinen Ruf als Rock-Don-Juan zementiert. Nun belebte er Roxy Music wieder und entwickelte mit elegant wehmütigen Songs wie „My Only Love“ einen neuen Stil, der als „Sophisti-Pop“ bekannt wurde. Vor allem das aufwändig produzierte Album „Avalon“ von 1982 verführte mit Klängen, die so geschmeidig waren wie die Stoffe der Massanzüge, die der Brite mittlerweile trug, vorzugsweise beim Verlassen eines Privatjets oder Einchecken in eine Presidential Suite.
Nach einer triumphalen Welttournee fror Ferry Roxy Music wieder ein, um erneut als Solo-Künstler aufzutreten. Mit Erfolg: In den letzten Jahrzehnten wurde er immer mehr zu einem Crooner à la Bing Crosby und bringt es mittlerweile fertig, fast ohne Bewegung der Lippen zu singen. Dass seine Texte dadurch oft kaum zu verstehen sind, nimmt er in Kauf.
Nach Veröffentlichungen, die auch Jazz-Standards und Cover-Versionen von Dylan-Songs umfassten, überrascht Ferry auf seinem neuen Album „Loose Talk“ dadurch, dass er nahezu stumm bleibt. Sein charakteristisches Vibrato ist nur gelegentlich verwischt im Hintergrund zu hören, während die britische Künstlerin Amelia Barratt – sie versteht sich als „Malerin, die auch schreibt“ – elf präzis beobachtende Prosagedichte vorträgt.
Die Hintergrundmusik zu dieser Spoken-Words-Performance basiert auf unveröffentlichten Demoaufnahmen aus Ferrys mehr als fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere – Echos der Vergangenheit, die im Studio erweitert und verfeinert wurden. In den gelungensten Momenten des Albums – in „Florist“ oder „Orchestra“ – ist Ferry dabei wieder ganz der Sophisti-Popper zur Zeit von „Avalon“: Wie ein Interior-Designer Zimmer mit Möbeln, Blumen und Gemälden füllt, tut der Brite dies als Dekorateur von Klangräumen. Hier eine Reihe hingehauchter Klaviernoten, dort ein paar kaum berührte Gitarrenseiten, dort hinten eine kurz aufschimmernde Synthesizer-Fläche.
Gleichzeitig erinnert „Loose Talk“ an den Anfangsmonolog im Roxy-Music-Klassiker „In Every Dream Home A Heartache“ von 1973, wo sich Ferry fragt, ob es einen Himmel gibt. Wenn ja, ist nicht auszuschliessen, dass dort aus riesigen weissen Lautsprechern, die an die sphärischen Kuppeln von Buckminster Fuller erinnern, sein neues Album erklingt.