Der Fremde

Christian Kracht: Autor, Phantom


2012 kann kein schlechtes Jahr werden. CHRISTIAN KRACHT kündigt einen neuen Roman an.

DU online, 6. Februar 2012 · Lesedauer 3 Min.

10 CDs mit insgesamt 685 Minuten Laufzeit: So umfassend sind Hörbuch-Editionen für noch lebende Schriftsteller selten. Und auch nicht so opulent: Die Romane „Faserland“, „1979“ und „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ von Christian Kracht werden im schönsten Ausklappalbum seit „Welcome to the Pleasuredome“ von Frankie Goes to Hollywood präsentiert, und die Vorleser sind Edelstimmen: Dirk von Lowtzow von Tocotronic (wunderbar schnöselig), Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen (wunderbar schicksalsergeben), Dieter Meier von Yello (wunderbar apokalyptisch).

Ihr Dreiklang macht klar, dass Kracht mit den drei Büchern einen Bildungsroman in Teilen schrieb: Die Dekadenz, in der der traurige Held von „Faserland“ sein Heil zu finden glaubt, wird in „1979“ durch den Totalitarismus ersetzt und in „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ durch die Liebe. Die drei Romane sind im Grunde ein einzelner, und entsprechend sinnig heisst denn auch Krachts Hörbuch-Trilogie „Triptychon“.

Wer ist der Mann?

Zum ersten Mal auf sich aufmerksam machte der in der Schweiz geborene Kracht, als er in den 90er Jahren mithalf, das Zeitgeistmagazin „Tempo“ neu zu erfinden. Seine Forderung, die Autoren sollten vor allem von sich selbst erzählen, machte das Heft so gut, dass die besten Magazine im deutschen Sprachraum noch immer daraus Ideen klauen.

Als „Tempo“ 1996 eingestellt wurde, hatte Kracht schon vom Journalisten zum Schriftsteller gewechselt und „Faserland“ veröffentlicht. Sein Début-Roman und Teil 1 des Triptychons – in der Hörbuch-Trilogie liest ihn Dirk von Lowtzow – begründete in Deutschland die so genannte „Popliteratur“, was ihm viele Kritiker bis heute nachtragen. Beängstigend hellsichtig zeigte sich Kracht sechs Jahre später in „1979“, Teil 2 des Triptychons und von Schorsch Kamerun gelesen. Das Buch erschien kurz vor den Terroranschlägen vom 11. September und prangerte die Sinnleere des spätbürgerlichen Westens an. „Es gibt nur eine Sache, die dagegen stehen kann“, liess Kracht eine Roman-Figur sagen: „der Islam. Wir werden Opfer bringen müssen. Jeder von uns.“

Spätestens seit „1979“ ist Kracht ein Untergetauchter, ein Phantom. Er lebt in Kalkutta, Bangkok, Katmandu und wo man sich als blonder, reicher Westler (Krachts Vater war Generalbevollmächtigter von Axel Springer) sonst noch sehr, sehr fremd fühlen muss. Ab und zu schickt er ein Lebenszeichen: in Form einer Photographie, auf der er wie Klaus Kinski aussieht (dieselbe hohe Stirn, derselbe flackernde Blick, dieselbe irre Frisur); in Form eines snobistischen Magazinprojekts („Der Freund“); in Form eines irritierend unpolitischen Nordkorea-Bildbands („Die totale Erinnerung“); in Form einer neuen Ehe (mit der Regisseurin Frauke Finsterwalder); in Form eines Gerüchts: Schon gehört? Christian Kracht soll im Drogenrausch seinen Porsche mit Champagner gewaschen haben. Schon gehört? Christian Kracht soll in Sri Lanka einen Turm besitzen. Schon gehört? Christian Kracht soll sich als Indienkorrespondent des „Spiegel“ geweigert haben, über den Tod von Mutter Theresa zu berichten. Und alle paar Jahre schickt Kracht als Lebenszeichen einen Roman.

2008 hiess dieser „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ (Teil 3 des Triptychons und von Dieter Meier gelesen). Darin erzählt Kracht von einer Welt, in der niemand lebt, der nicht im Krieg geboren wurde, in der die Menschen vor Hunger Hunde essen und in der die Schweiz eine zentrale Rolle spielt: als von Lenin gegründete Schweizerische Sowjetrepublik, deren steinernes Herz der Finsternis ein gigantisches Réduit ist.

Ein grosses, ein totales Buch. Total im Sinne eines absoluten Sprachwerks, das nur um sich selbst kreist, das nur durch sich selbst gehalten wird, als Reaktion auf die Trennung von Kunst und Leben, auf die Degradierung der Schönheit zum reinen Konsumgut. Der Totalität der Warenwelt setzt der ästhetische Fundamentalist Christian Kracht die Totalität eines Roman-Gedichts gegenüber.

So verstörend das Buch war: „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ endete als erster Roman Krachts mit einem Happy End. Aus dem Weltfest des Todes stieg zuletzt die Liebe. Doch kann sie den Kracht’schen Hans Castorp wirklich erlösen?

Am 16. Februar erscheint „Imperium“, Krachts vierter Roman und vielleicht das erste Bild eines neuen Triptychons aus Sünde, Verdammnis und Vergebung. Das Buch soll in Deutsch-Neuguinea spielen, einer Kolonie des wilhelminischen Kaiserreichs, wo ein Vegetarier und Sonnenanbeter eine neue Religion stiftet, um die Welt vor den Abgründen des 20. Jahrhunderts zu bewahren.

Die Geschichte, teilt der Verlag mit, werde im Wahnsinn enden. Das passt: Man hört ein leises Ticken, wenn man Christian Kracht begegnet. Aber er trägt keine Armbanduhr.

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