
Herausfinden, welche Nachbarskatze in den Garten macht, oder doch lieber Leuchtpflanzen züchten? Die coolsten Nerds sind die BIOHACKER.
NZZ am Sonntag, 19. Oktober 2014 · Lesedauer 4 Min.
Es ist, als würden sie mit Bauklötzen spielen. Nur dass diese lebendig sind.
Sie – das sind die Biohacker: Hobby-Genforscher und Do-it-yourself-Biologen, die in Küchen oder Garagen mit Erbgut hantieren und künstliche Organismen erzeugen. Ihr Credo: Die DNA – der Code des Lebens – ist nur eine Ansammlung von Programmierzeilen. Und die kann man genau so gut modifizieren wie Software.
Genforschung im Heimlabor? Das klingt nach einem Hobby für Millionäre. Ist es nicht: Synthetische Gen-Bausteine kosten nur noch wenige Rappen, die benötigten Laborgeräte finden sich auf eBay, Kategorie „Business & Industrie“, Unterabteilung „Medizin & Labor“. Ausrangierte Präzisionswagen, Zentrifugen, sogar PCR-Maschinen zum Vervielfältigen von DNA – alles für ein paar hundert Franken zu haben. „Die Labors in Firmen und Universitäten wollen immer die neuste Ausrüstung“, sagt der französische Biohacker Thomas Landrain: „Diesen Fehler im System nutzen wir aus.“
Und es geht noch günstiger als gebraucht: selbst gemacht. Statt mit einem Bunsenbrenner sterilisieren Biohacker ihre Ausrüstung mit einem Camping-Gaskocher, statt mit teuren Illuminatoren machen sie das fluoreszierend eingefärbte Erbgut mit einer Weihnachtsbeleuchtung aus blauen LED-Lämpchen sichtbar. Besonders Gewiefte bauen sogar ihre eigene PCR-Maschine: aus einem Computerlüfter, dem elektrothermischen Wandler aus einem Kühlschrank und ein paar anderen Bauteilen. Vorbei auch die Zeiten, wo ein Studium der Molekularbiologie nötig war, um mit Genen zu experimentieren. Webseiten wie publiclab.org machen das entsprechende Wissen allen Interessierten zugänglich, mit im Stile von Kochrezepten beschriebenen Experimenten zum Nachmachen.
Mancher Biohacker ist dann schon zufrieden, wenn er per DNA-Analyse herausfindet, welche Nachbarskatze ihm in den Garten macht oder ob der teure Ziegenkäse nicht in Wahrheit aus Kuhmilch ist. Ambitiösere Freizeit-Biologen bringen Bakterien dazu, Hämoglobin, Medikamente oder Treibstoff zu produzieren. Oder wie wäre es mit Pflanzen, die als lebendige Strassenlampen dienen, weil sie einen Teil des Traubenzuckers, der bei der Fotosynthese entsteht, in Licht umwandeln? Auch daran tüfteln Hobby-Genforscher in Kellern, ausrangierten Campingbussen oder Gemeinschaftslabors, so etwa dem Hackuarium in Renens VD. Für einen geringen Mitgliederbeitrag kann man dort an Workshops teilnehmen oder Experimente durchführen.
Die Leidenschaft, welche die Biohacking-Szene beseelt, erinnert an die Technik-Nerds, die in den 1970er Jahren die ersten Home Computer zusammenlöteten und so eine Revolution lostraten: Den Grossraumrechnern der Unternehmen und Regierungen setzten sie in einem Akt des technologischen Widerstands den Personal Computer entgegen. „Wenn ich heute Teenager wäre“, meinte denn auch Bill Gates in einem Interview, „würde ich Erbgut synthetisieren und künstliches Leben schaffen. Wer die Welt wirklich verändern will, muss bei den Genen anfangen.“
Eine Einladung zum Biohacking, die nicht alle freut. Das FBI hat eine eigene Abteilung gegründet, um sich mit der wachsenden Szene der Hobby-Biologen zu befassen. Das erfuhr etwa der Amerikaner Steve Kurtz: Als dessen Frau mit 45 Jahren an einer angeborenen Herzschwäche starb, bekam er Besuch von der Polizei, die sicherstellen wollte, dass die Todesursache rein natürlich war. Doch als die Beamten das Heimlabor des Biohackers entdeckten, wurden sie misstrauisch. Hatte Kurtz seine Frau vielleicht mit einem biochemischen Gift ermordet? Allen Unschuldsbeteuerungen zum Trotz wurde der Hobby-Genforscher verhaftet und als Bioterrorist angeklagt. Mit Gasmasken und Schutzanzügen durchsuchten FBI-Agenten Kurtz’ Haus. Sogar seine Katze wurde eingesperrt, weil man vermutete, sie würde zur Übertragung tödlicher Viren eingesetzt.
So übertrieben das FBI vorging: Die Bio-Waffe aus dem Hobbyraum ist denkbar. Allerdings sei es schwierig, ein noch besserer Bioterrorist zu werden, als die Natur selbst es schon sei, hält der deutsch-amerikanische Virologie-Professor Eckard Wimmer fest: „Statt einen neuen gefährlichen Erreger zu erschaffen, ist es doch viel einfacher, ein bestehendes Bakterium wie zum Beispiel EHEC zu vermehren und auf Märkten übers Gemüse zu sprühen.“ Der Luzerner Biohacker Urs Gaudenz ist da allerdings skeptisch: „Nehmen wir an, ich käme an das Blut einer Person heran, die an Ebola erkrankt ist. Dieses Virus zu kultivieren, gäbe eine riesige Schweinerei. Da hätte ich als Biohacker das Zeug ganz schnell auf dem ganzen Küchentisch und wäre tot, bevor ich mit meiner Biobombe überhaupt angefangen habe.“
Gaudenz, Teil des internationalen Biohacker-Netzwerks Hackteria, will in seinem Luzerner GaudiLabs möglichst viele für die Welt der Bakterien und Gene begeistern. „Es geht darum, einen Blick hinter den Vorhang zu werfen, an der Zukunft teilzuhaben, eine transformative Erfahrung zu machen“, sagt der studierte Mikrotechniker, der ein Bio-Labor in Koffergrösse entwickelt hat, das sich überallhin mitnehmen lässt. Wer sich mit Gaudenz unterhält, führt ein rasch hoch philosophisches Gespräch entlang den Schnittstellen Mensch/Technik, Code/Zelle, Bit/Atom und nicht zuletzt Wissenschaft/Kunst. So gehört denn auch das Schweizer Künstlerduo Heidy Baggenstos und Andreas Rudolf zu Gaudenz’ Biohacker-Freundeskreis, das leuchtende Pilze und Bakterien züchtet. „Gerade solche Bio-Art-Projekte zeigen, wie breit die Biohacker-Bewegung ist“, sagt Gaudenz. „Technologieaktivismus, Bürgerwissenschaft, Kunst – alles ist Biohacking. Permanent gärt und brodelt es in der Szene. Man trifft sich irgendwo, packt sein Zeug aus, experimentiert. So entsteht ein befruchtender Dialog über alle Kontinente hinweg.“
Das sieht auch Ellen Jorgensen so, die im New Yorker Gemeinschaftslabor Genspace tätig ist und seit einem viel beachteten TED-Talk als Frontfrau der Biohacking-Szene gilt. Für sie erlaubt die Do-it-yourself-Biologie, die Gentechnik zu demokratisieren und aus dem Klammergriff der Universitäten und Konzerne zu befreien. Vor allem aber gehe es darum, Wissenschaft sexy zu machen. Denn wer, wenn nicht Wissenschaftler, seien imstande, Krankheiten zu bekämpfen und den Ausstieg aus fossilen Energien voranzutreiben?
Gut möglich also, dass wir den Beginn einer neuen Revolution erleben, dass irgendwo in einer Garage ein zweiter Steve Jobs heranwächst. Keiner der Bits und Bytes diesmal, sondern einer der Bakterien und Basenpaare. Der momentan aussichtsreichste Kandidat für die Nachfolge des Apple-Mitgründers ist Austen Heinz. Der Amerikaner hat den ersten 3D-Printer für DNA entwickelt. Damit sollen eines Tages genetische Mutationen korrigiert werden können, die für Erbkrankheiten verantwortlich sind. „Man ersetzt einfach die fehlerhaften Programmierzeilen im genetischen Code durch die richtigen“, sagt Heinz. „Auch könnten so in Zukunft schwule Paare echte leibliche Kinder haben, indem wir die DNA der beiden Partner kombinieren.“
Babys mit zwei Vätern aus dem 3D-Printer? Das wäre dann wohl der ultimative Biohack.