
Die brasilianische Bossa-Nova-Legende JOÃO GILBERTO („The Girl from Ipanema“) ist der geheimisvollste Musiker der Welt. Lebt er überhaupt noch?
Weltwoche, 20. September 2018 · Lesedauer 2 Min.
1956 schliesst sich ein junger Brasilianer während Monaten mit seiner Gitarre in einem gekachelten Klo ein, der besonderen Akustik wegen. Als er wieder herauskommt, hat er einen neuen Musikstil erfunden, mit vertrackten Harmonien und geschmeidigem Gitarrenspiel. Dazu flüstert und haucht er Worte wie „Hô-bá-lá-lá“ oder „Bim Bom“.
Der Vater des jungen Mannes ist überzeugt, dass sein Sohn verrückt geworden ist, und weist ihn in eine Irrenanstalt ein. Dort fragt der junge Mann einen Arzt: „Sehen Sie, wie der Wind die Bäume enthaart?“ Der Arzt erwidert: „Aber Bäume haben doch keine Haare!“ „Und Sie haben keine Poesie“, sagt der junge Mann.
Aus der Irrenanstalt entlassen, geht der Erfinder des neuen Musikstils nach Rio de Janeiro, wo er 1959 seine erste Platte aufnimmt. Ein Journalist gibt der sanft wiegenden Musik einen Namen: „Bossa Nova“ (portugiesisch für „Neue Welle“). Die Brasilianer sind der Anmut dieser Klänge sofort verfallen, und die schönsten Frauen Rios flüstern den Namen des jungen Mannes, der diese wunderbar traurigen Lieder singt: „João … João Gilberto …“
1962 geht Gilberto nach New York und spielt mit seiner Frau Astrud und dem Jazz-Saxophonisten Stan Getz ein Album ein. Darauf gibt es ein Lied, das von einem Mädchen erzählt, das schlank und braungebrannt ist und so hübsch, dass jeder, an dem es vorbeigeht, „Ah!“ machen muss. Es ist das Lied „The Girl from Ipanema“ und wird ein Welthit.
Doch je mehr die Menschen João Gilberto lieben, desto mehr wendet er sich von ihnen ab. Es beginnt damit, dass er immer seltener Konzerte gibt. Und wenn, dann bricht er sie meist ab, weil ihn irgendetwas stört – meist ist es das Publikum. Zuletzt verlässt Gilberto kaum noch seine Wohnung in Rio de Janeiro, wird zum J.D. Salinger der Musikwelt, zum Phantom. Er soll am Tag schlafen und aufstehen, wenn es dunkel werde, heisst es. Er soll nur noch mit Katzen reden. Er soll 300 Kilo wiegen. Er soll die ganze Zeit Gitarre spielen.
Der Schweizer Regisseur Georges Gachot hat sich nun auf die Suche nach dem legendären Musiker gemacht. In seinem Film „Wo bist du, João Gilberto?“ (seit dem 13. September im Kino) spricht er mit Freunden und Weggefährten. Und mit dem Geist von Marc Fischer, einem 2011 verstorbenen Schriftsteller, der João Gilberto ebenfalls suchte. Zuletzt steht der Regisseur vor einer Tür in Rio de Janeiro. Ist es die richtige? Und wird sie sich öffnen?
Gachots Film ist wie die Bossa Nova: eine Reise ins Herz der Sehnsucht.